Ihre Leidenschaften sind der Weg zu Ihrer lebendigen Energie. Hingebungsvoll gelebte Passionen nähren Ihre Seele und schaffen Intimität mit sich selbst. Sie weisen den Weg, auf verschlungenen Pfaden versteht sich, zu nichts weniger als Ihrer Lebensmission, Ihrer Berufung. Tatsächlich?
Nun, fragen Sie sich selbst oder die Ihnen nahestehenden feinfühligen Menschen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen! Jede besonders begabte Seele jedenfalls, die mir bisher begegnet ist, trägt im Inneren eine oder gleich diverse, als abseitig oder seltsam empfundene Vorlieben, die sie am liebsten für sich behält – weit, weit weg von den Einblicken anderer. Diese werden mir häufig in Momenten tiefer Aufrichtigkeit “gestanden” – leider zumeist in der Sorge, nein, in der gefühlten Gewissheit, dass sich nun endgültig bestätigen werde, dass “sowas ja wohl in die Klapse gehört”!
Es versteht sich von selbst, dass keine meiner geschätzten KlientInnen mit einer guten Freundin so hart ins Gericht gehen würde, aber bezüglich der eigenen Person scheint es oft wenig Gnade zu geben: “Ich bin gestört!”
Mir sind all diese errötend gestandenen Leidenschaften bisher entweder äußerst sympathisch oder sie wecken unmittelbar meine Neugier (und natürlich bedrohten sie niemandes Unversehrtheit). Oft auch, mit einem gemeinsamen liebevollen Blick darauf, müssen wir herzlich lachen, weil erst im Aussprechen der harmlose, verspielte Charakter offenbar wird. Zudem kann ich als Außenstehende leicht die wichtigen Grundbedürfnisse in jeder dieser Vorlieben entdecken, die vielleicht auf andere Art bisher niemals befriedigt wurden.
Vor allem aber spüre ich die leidenschaftliche, kreative, unbändige Kraft dahinter.
Es ist mir wirklich noch nie etwas “Krankes, Abartiges” darin begegnet – und ich glaube auch nicht, dass dies jemals der Fall sein wird. Steckt nicht in jeder Passion ein Teil unserer “Mission”?
Ich meine hier mit Leidenschaften übrigens nicht Süchte, obwohl selbstverständlich auch darin die Suche nach Sinn und Erfüllung verborgen liegt, die Dynamik ist dennoch etwas anders.
Jedenfalls: Könnten wir unseren persönlichen Lebenssinn jemals erfassen, ohne den leidenschaftlichen Zeichen aus den Tiefen unserer Seele zu lauschen und fühlend zu folgen? Und ist es nicht gerade für Hochbegabte das alles Entscheidende, ihre Mission, ihre Aufgabe, das eigene “Wofür” zu finden und zu leben?
Meine sehr, sehr, sehr gute Freundin hat mir erlaubt, an dieser Stelle ihr intimes Beispiel sprechen zu lassen. Sie liebt nämlich keine Hunde oder die dicken Schmöker der Weltliteratur. Sie liebt es auch nicht, laufen zu gehen oder philosophische Werke zu verschlingen.
Ihre Leidenschaft gilt einem “seltsamen Set von Filmen”, wie sie sagt. Im Spektrum reicht es von Liebes- über Kriegsfilmen (meine Freundin ist Pazifistin) über Dramen, Krimis, alten Mythenverfilmungen bis hin zu Dokus über zeitgenössische Politiker… ganz und gar genreübergreifend also, mit unverständlicher Themenkombi, in der Anzahl selbst allerdings sehr überschaubar, ziemlich genau 5! Dieses Set erweitert sich zwar hin und wieder, etwas fällt weg, eine Neuentdeckung kommt hinzu, es zeichnet sich jedoch insgesamt durch erstaunliche Beständigkeit aus, interessant, wenn man berücksichtigt, dass wir in Zeiten von Youtube und Netflix leben.
Wie auch immer, sie liebt eben genau diese Filme und keine anderen, meine sehr, sehr, sehr gute Freundin (danke, Gunther! 🙂 ). Und da sie hochsensibel ist und ihre Gefühle mehr als bereitwillig auf visuelle Reize in Kombination mit Musik reagieren, musste sie erfinderisch werden, um die Reize kontrollieren und ihre Lieblinge auch von Herzen genießen zu können. Das lässt sich mithilfe folgender Konstruktion offenbar bestens bewerkstelligen: Sie schaut sie nicht im Kino oder auf einem Fernsehbildschirm oder im PC, nein, allein die Flugzeug-Bildschirmgröße eines ipad mini schafft die optimale Distanz für den Genuss!
Nun, diese Filme konsumiert sie, bis sie nahezu jeden Dialog mitsprechen kann. Und dann noch Jahre darüber hinaus. Sie schaut sie zum Kochen oder wenn sie aufgeregt ist, hin und wieder zum Einschlafen, aber vor allem als das reine, pure Freizeitvergnügen.
Sie studiert Szene für Szene, Einstellungen, Blicke, Sätze, vergleicht Original und Synchronisation, prüft, wie die gleichen Schauspieler in ähnlichen Szenen in anderen Filmen auftreten, sie spult zurück, um wichtige Momente zu analysieren und zu “inhalieren”, genießt einzelne Moment des Ausdrucks wieder und wieder, weil sie etwas unsagbar Kostbares eingefangen haben. Sie bewundert die Filmmusik, lässt sich von ihr zum 1001. Mal davontragen, schwärmt für einzelne Helden und recherchiert ihren Hintergrund, prüft das Geburtsdatum eines Schauspielers in der Nebenrolle und fragt sich, wie es zur Namensgebung einer bestimmten Figur gekommen sein mag, sie träumt davon, hört im Wachbewusstsein, zum Beispiel im Bus oder am PC, die Dialoge in ihrem Kopf und weiß exakt, wiewohl sonst nicht mit absolutem Gehör ausgestattet, in welcher Tonhöhe die Filmmusik beginnt und wie der Hauptdarsteller einatmet, bevor er xy sagt… Sie lebt in und mit diesen Werken, für eine bestimmte Zeit.
Ihr ist vollkommen bewusst, dass ihre Leidenschaft sich NULL darum schert, ob diese Filme irgendein Ansehen bei der Filmkritik gewonnen haben. Dass in den Themen nur rudimentär wiederkehrende Muster erkennbar sind. Dass der intellektuelle Anspruch teils doch sehr in Zweifel gezogen werden könnte, da ihre kundigen und kulturell gebildeteren Freundinnen bei der Nennung bestimmter Mitwirkender rasch und ohne ein Wort die Augenbraue hoben (ich nicht, da ich bis auf meine direkten Lieblinge keinerlei Schauspieler erkenne, übrigens auch nicht in Hamburg Eppendorf). Aber all das muss hintenan gestellt werden, handelt es sich doch um eine profunde und authentische Leidenschaft, die sie schlicht und ergreifend beglückt, über die sie die Zeit vergisst, die sie trägt und nährt, bis plötzlich, ups, ja schon wieder Morgen ist und die Vögel zwitschern… Und sie fühlt sich überhaupt nicht erschöpft, sondern von der Muse persönlich wach geküsst.
Ist es nicht das, wovon tatsächlich alle sprechen: Eine Nacht ohne Schlaf voller Leidenschaft?!
Jetzt sind Sie an der Reihe: Ist das sympathisch, angenehm schräg, doch fast normal und inspirierend… – oder nicht? Haben sie spontan an eigene ritualhafte Abläufe mit ganz anderer Form, aber ähnlich lustvollem Gehalt gedacht? Blitzten Ihre eigenen Leidenschaften auf und mussten Sie leise in sich hineinkichern, in Vorfreude auf den nächsten Moment Ihrer intimen Zweisamkeit?
Zur schlussendlichen Zerstreuung all Ihrer Zweifel hier eine Antwort, die alles sagt:
In einem Moment von Verzagtheit und Schuldgefühl nämlich beklagt sich meine Freundin über ihre Leidenschaft und die Folgen bei Ihrer Frau Mutter. “Mama, ich versteh´s nicht, ich MUSS das machen, ich finde es zwar toll. Aber das geht doch nicht! Was soll das denn! Und weißt du, was das Schlimmste ist? In der Meditation kommt das dann alles wieder hoch, das heißt, ich schau mir dann die ganzen Filme nochmal an! Ich muss mir das abgewöhnen, das ist doch nicht normal!!”
Und was antwortet die Mutter mit der ruhigen Autorität ihres ganzen Seins:
“Nein. Das hat alles seinen Sinn. Du brauchst das, um dir über bestimmte Themen deines Lebens klar zu werden. Man versteht das nicht immer gleich, aber bis es für dich geklärt ist, wirst du das auch weitermachen. Es trägt zu deiner Reifung und Entwicklung bei. Es tut dir gut, und darauf kommt es an.”
Der Weisheit dieser wunderbaren Frau ist nichts hinzuzufügen.
Etwas ehrfürchtig und sehr beschwingt 😉
Ihre Mantradevi