Wie finden wir heraus, was wir brauchen? Oder machen dabei zumindest einen guten Anfang…?
Es klingt so leicht: Spüre, was du brauchst! Und oft frage ich im Coaching oder in der Therapie: „Was brauchen Sie gerade? Was wäre jetzt gut für Sie?“
„Ha! Ich spüre 1000 Sachen,“ ruft meine feinfühlige, sehr begabte Klientin Claire aus, „gleichzeitig und nacheinander … Gedanken, Bilder, Gefühle, ganz unterschiedliche, und zwar parallel, und meinen Körper spüre ich,… diesen Körperteil und jenen und auch meine Organe … und wenn Sie so fragen, dann ist da plötzlich gar nix mehr, nur Leere! – Ich weiß verdammt noch mal nicht, was ich brauche. Ich glaube eher, ich bin total verrückt! Verstehen Sie das??“
Wie gut ich das verstehe! Und Claire kann Hilfe eindeutig gut gebrauchen. Doch andererseits ist es oft gar nicht so schwer, das gefühlte Chaos zu lichten. Und sollte danach noch immer (subjektiv zu viel) „Verrücktheit“ übrig bleiben, ist auch das noch nicht das Ende, versprochen!! 😉
Falls Sie das kennen und Claire Ihnen direkt aus der Seele spricht, dann wäre mein stärkster Impuls, Ihnen zu gratulieren!
Ja, es ist mir ernst! Ich würde Ihnen so gern zu Ihrer Vielschichtigkeit gratulieren, Ihrer Zartheit, Ihrer Buntheit, Ihrer Lebendigkeit und Kraft. Sie leben, und all Ihre Fasern erzählen davon! Wenn Sie über zwei bis drei Minuten Ihres (Er)Lebens authentisch Bericht erstatten wollten, müssten Sie ganz schön weit ausholen mit Ihrer Beschreibung, stimmt´s?! Ist das nicht Grund genug, Ihnen zu Ihrer besonderen, aktiv fühlbaren Lebendigkeit zu gratulieren?
Da mir oft die Verzweiflung von Menschen begegnet ist, die zunächst einmal sehr wenig oder gar nichts in ihrem Innern spüren und die wochen- und monatelang kämpfen, um ihre Empfindungsfähigkeit in allerersten Ansätzen zu erobern, weiß ich den großzügigen Segen hochbegabter Feinfühligkeit umso mehr zu schätzen. – Viel Rohmaterial, könnte man sagen, bereit dazu, sortiert, erfühlt, verbunden, verstanden und genutzt zu werden.
Dennoch: Hätte mir früher jemand gesagt, „Wie schön für dich, du bist so vielschichtig!“ und ich hätte nur den Hauch einer Distanz, eines Abtuns meines Zustandes aus seinen Worten herausgehört, hätte ich mich wohl hemmungslos zur Wehr gesetzt. (Ja, ich war durchaus impulsiv … und glaubte mich damit auch ganz im Recht. Nunja.)
Eine innere Überflutung durch Wahrnehmungen, aktuelle und vergangene Eindrücken, Klänge, Bilder und Verknüpfungen aller Arten ist natürlich auch kein angenehmer Zustand! Eine Flut reißt mit, auch das, was man gerne halten würde, und von Kontrolle oder Einflussnahme kann in diesem Moment keine Rede sein. Was also tun?
Vom Spüren – zum Benennen – zum Verlangsamen – zum Raum schaffen – und schließlich zum entspannten Ankommen bei sich, – das wäre ein Weg.
Und am besten beginnen Sie so, – auch auf die Gefahr hin, Sie jetzt nicht zu überraschen: Atmen Sie tief ein und aus! – Ja! – Und noch einmal tiiief ein und laaange aus! Und weil Sie jetzt schon spüren, wie gut es tut, gleich noch einen Atemzug…! –
Der schnellste Weg, ein Stressmuster zu durchbrechen, führt über den bewussten, tiefen Atem. Und wenn wir uns gerade heftig (über uns selbst) aufregen, weil ein Sturm in unserem Innern tobt, dann erleben wir Stress! Übrigens auch dann, wenn uns eine unschuldige Frage aushebelt, weil wir glauben, nicht schnell genug eine Antwort zu finden. Oder dann, wenn wir glauben, etwas nicht zu können, aber meinen, es doch „können zu sollen“… Sie verstehen sicherlich blind, was ich meine!
Was ich brauche, kurz gesagt, ist das, was mich in diesem Moment so reguliert, dass ich mehr Wohlbefinden erlebe, mehr Raum in mir und um mich herum wahrnehme – und dadurch wieder mit meinen Ressourcen und meiner Steuerungsfähigkeit in Kontakt komme. In allererster Linie dürfte dies (zunächst) ein körperliches Geschehen sein, dem man eigentlich – und das ist der Vorteil – mit etwas Ausdauer sehr gut folgen kann.
Die Aufmerksamkeit auf den Körper zu lenken und, schwieriger, sie eine Weile dort zu halten, fällt einem hochbegabten Geist schon im entspannten Zustand nicht ganz leicht, im enthemmten Galopp der durchgehenden Gedanken erscheint es völlig unmöglich. Dem ist aber nicht so! Einmal der Ungeduld nachspüren, sie akzeptieren und freundlich bei der Hand nehmen, den Atem wahrnehmen, („Tieeef ein und aus…!“) und etwas inneren Abstand schaffen. Schon ist das Erleben etwas anders, zumindest ein klein wenig. Dies ist der neue Ausgangspunkt.
„Und dann?“ fragt Claire. Sie fragt es ruhiger, ihre Augenlider flattern, und ihre Energie verlangsamt sich. „Was fühlen Sie denn jetzt?“ will ich wissen.
„Ich … naja, in meinem Kopf vibriert es, meine Ohren sausen, und im Bauch ist es ruhiger… so ein warmes Orange… ich fühle ein bisschen mehr Weite in meiner Brust, nur ein bisschen… mmh, und ich kann besser atmen… es ist irgendwie heller…!“ Sie grinst. „Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen… – ´Das ist doch schon ein echter Anfang´! Und wissen Sie was?
Es ist nichts, was die Erde beben lässt und all meine Probleme wegwischt. Aber es ist ein Anfang.“
Einen schönen Start in die neue Woche!
Ihre Mantradevi